(ein Text für junge Menschen)
Wie alles begann
Ich bin ein alter Mann und werde demnächst 80 Jahre alt. Schon als Schüler hatte ich Radios repariert. Das waren damals Holzkisten, schwarz oder braun lackiert. Oben konnte man den Deckel öffnen und so an das Innere gelangen. An der Frontseite befanden sich Drehknöpfe. Deren Bedeutung wurde mir erst nach einiger Zeit klar. Denn die Bedienung musste man üben, sonst hörte man die Sender nicht.
Der Rundfunk war noch nicht alt, als ich bereits zur Schule ging. Denn ohne Lesen und Schreiben blieben mir die Geheimnisse der Elektrizität verborgen. Und so vertiefte ich mich nach dem vierten Schuljahr in ein dickes Buch von Prof. Dr. Leopold Graetz. Im letzten Kapitel waren Skizzen von Elektronenröhren, die wohl mehr als dreißig Jahre zuvor nur auf den Experimentiertischen der Physiker zu sehen waren.
Im Krieg wurde vieles zerstört, doch die Leute wollten ein funktionierendes Radio, um sich über den Fortschritt in Wirtschaft und Politik zu informieren. Es war die Zeit, als man mit allen zusammengetragenen Bauteilen sich auch mal selbst ein Gerät bastelte. Mein Vater reparierte stets am Wochenende diese abenteuerlichen Konstruktionen auf dem Küchentisch und verdiente sich so nebenbei ein kleines Zusatzeinkommen. Ich saß ihm gegenüber und fieberte mit, bis wieder ein Ton aus dem Lautsprecher kam. Ein hoch und lang gespannter Draht ging von einem Holzmast am Zaun des Grundstücks bis zum Fenster. Man nannte das Hochantenne. Ein anderer Kupferdraht kam vom Wasserhahn. Die Wasserrohre waren damals noch aus Metall und hatten so eine gut leitende elektrische Verbindung zur Erde. Beide Anschlüsse waren ungemein wichtig für einen lautstarken Radioempfang. Ultrakurzwelle oder Digitalfunk gab es noch nicht. Meistens hörte man Sender auf den Lang- und Mittelwellen. Beide Rundfunkbereiche werden aber seit einigen Jahren in Deutschland nicht mehr betrieben. Man muss heute mit solchen Radios warten, bis die Sonne untergeht. Dann kommen die elektromagnetischen Wellen von der Ionosphäre reflektiert doch noch zu uns. Es sind dann Sender aus Europa oder der ganzen Welt zu hören, wenn man auch auf die Kurzwellen abstimmt. Im Inneren sind seltsame Glasbirnen zu sehen, die Elektronenröhren.
Sie sind luftleer. Und ihr Vakuum ist heute noch erhalten, so dicht ist die Glashülle. Aber selbst die Kathoden senden immer noch genügend Elektronen aus, obwohl ihre Glühdrähte und die besondere Beschichtung schon so alt sind. Eine tolle technische Leistung unserer Vorfahren, die zielstrebig immer alles zur Perfektion brachten. Würde man heute mit dem Aufwand von damals solche Gebilde mit gleicher Qualität herstellen, wären sie unbezahlbar. Zum Glück gibt es sie noch bei den Auktionshäusern. Manchmal sogar zu erschwinglichen Preisen. Doch ihre Zeit ist abgelaufen, denn man verwendet jetzt Halbleiter, um ähnliche Funktionen zu realisieren. In unseren Computern sind diese Transistoren in der Größe von einigen Nanometern, also eintausend mal kleiner als ein millionstel Meter. Und in den Chips ist ihre Anzahl unübersichtlich groß.
Faszination
Ja, so kann man die Begeisterung für Elektronik einordnen. Aber es ist mehr als eine Leidenschaft, sich mit Elektronik zu beschäftigen. Es ist die Freiheit, mit unterschiedlichen Bausteinen und dem elektrischen Strom kreativ etwas herzustellen, das alle Sinne befriedigt, Augen und Ohren. Man bastelt Gebilde, die mit Ton und Licht auch andere Zuschauer anlocken. Oder man empfindet oft den Stolz, ein Werk abgeschlossen zu haben. Etwas geschaffen zu haben, das man anstrebte und zielstrebig zum Erfolg brachte. Es ist die Freiheit des Gestaltens von Ideen, die anderen Zeitgenossen verborgen bleibt. Und wenn man die hohe Kunst des Funkbastelns als Amateur mit einer Lizenz beherrscht, bleibt man nicht allein, weil man mit der ganzen Welt Kontakte herstellen kann. Ganz ohne Internet, das ohnehin meistens anonym benutzt wird.
Die Welt der Phänomene
Der elektrische Strom ist unsichtbar und auch akustisch nicht direkt wahrnehmbar. Er bleibt ein Geheimnis der Natur. Natürlich wissen wir von den Physikern, dass er sich aus bewegten Elektronen bildet. Die können manchmal so schnell wie das Licht sein. Man kann ihn spüren. Immer dann, wenn er durch unseren Körper fließt und eine gewisse Stärke überschreitet. Ab 10 mA(ein Hundertstel) der genormten Größe kann tödlich sein. Unsere Steckdose kann 1600 mal soviel abgeben! Herzkammerflimmern oder totales Aussetzen des Herzschlags führen zum Tod. Innere Verbrennungen setzen Gifte frei, an denen wir noch nach Tagen zugrunde gehen können. Der Strom hat seine Gefahren! Wir müssen also lernen, mit ihm umsichtig umzugehen.
Mit Hilfe der Mathematik beschreiben wir Vorgänge in der Natur. Manche sind so komplex, dass wir sie selbst mit den schnellsten Computern noch nicht zuverlässig berechnen können. Und manche elektrischen Schaltungen, die wir aus vielen Bauteilen aufbauen, zeigen ebenso schnell nach dem Einschalten das Ergebnis. Und wir haben kaum Möglichkeiten, den Fluss des elektrischen Stromes zu verfolgen. Er ist einfach zu schnell und bringt augenblicklich Ergebnisse, die wir uns wünschten oder nicht erwartet hatten. Ist ein Fehler in unserem Entwurf, dann lässt sich die Natur nicht dazu überreden, das angestrebte Resultat zu zeigen. Der elektrische Strom zwingt uns also selbst zum sorgfältigen Überlegen. In digitalen Schaltungen ist ein streng logisches Denken vor der Realisierung eine Grundbedingung. Ein Chipträger mit logischen Fehlern kann nicht verwendet werden. Er wäre ein fataler Gau, der zu hohen Kosten führt und einen wirtschaftlichen Schaden darstellt, den man sich nicht jeden Tag leisten kann. In technischen Systemen, in denen es auf Sicherheit ankommt, muss man alles mehrfach überdenken. Bei der Eisenbahn oder in der Luft- und Raumfahrt müssen Denkfehler unbedingt vermieden werden. Die Beschäftigung mit Elektronik erzieht uns also auch zur Disziplin. Eine Eigenschaft, die durchaus gesucht und gut bezahlt werden sollte. Elektroniker sind selten unzuverlässige Abenteurer, die flüchtig und verantwortungslos handeln. Sie sind gesuchte Fachkräfte, die sich auch außerhalb der Industrie und Wirtschaft bei der politischen Mitwirkung bewähren könnten. Leider sind sie oft zu bescheiden und zurückhaltend, um ihre Fähigkeiten lautstark zu präsentieren. Sie kennen die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten. Sie sind aber immer bestrebt, sich zu vervollkommnen. Ihr Wissen zu erweitern, am Ball zu bleiben. Denn das ist ein Merkmal unserer Zeit, dass sich der Fortschritt immer schneller entwickelt. Und das Staunen von gestern kann morgen schon vergessen sein.
Wer sich als Elektroniker nicht weiterbildet, kann schnell unfähig werden. Ein Grundwissen und eine berufliche Erfahrung reichen nicht aus, um moderne Geräte zu verstehen und in Betrieb zu halten. Ein Zahnarzt hat eine medizinische Ausbildung und entwickelt sich mit zunehmender Erfahrung am Patienten. Ein Elektroniker wird täglich gezwungen, sich um neuere Fachkenntnisse zu bemühen, denn sonst verliert er den Anschluss an den Fortschritt. Und der ist weltweit gestreut. Von den USA über China bis zu uns. Wenn wir nicht den Nachwuchs auf den Weg bringen, verlieren wir bei der Produktion in der digitalen Welt. Manchmal habe ich meine Zweifel, ob Marketingmanager, Politiker, Journalisten und Gewerkschaftsführer das richtige Bewusstsein haben, um uns in eine gesicherte Zukunft zu führen. In den Parlamenten sind nur verschwindend wenige Naturwissenschaftler mit MINT-Bildung. Ein unerträglicher Zustand im 21.Jahrhundert. Die Meinungsmacher lernen auch nur aus den Folgen von Kathastrophen. Die haben erst sehr spät begriffen, dass der Klimawandel nicht auf die Menschen wartet.
Also mein Appell an die jungen Leute: Macht euch Gedanken, wie und was die Zukunft sein soll. Und wenn ihr versteht, worauf es ankommt, dann geht euren Weg und klärt auf. Leider wird es immer schwer sein, einen Rest von unwilligen Zeitgenossen mitzunehmen. Viel Glück und erkennt bitte, dass die Beschäftigung mit Elektronik nicht nur ein Freizeithobby ist. Das ist es, was ich euch mitteilen wollte.
berndg42; im Oktober 2021
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